Donnerstag, 1. September 2011

Becky - Der erste Entzug von Opiaten mit 6 Jahren!!!

Wie alles begann oder war mein Weg vorbestimmt?

- so ging es mit Becky weiter -
 
Es ist sehr schwer zu sagen, welche Menschen wann und warum drogensüchtig werden, bzw. sich erst einmal überhaupt auf den Drogenkonsum einlassen. Man kann auch nicht pauschal behaupten, dass alle, die eine schwere Kindheit hatten, später süchtig werden. Der hessische Bajuware z.B. hatte eine schöne und heile Kindheit und griff trotzdem später zu Drogen, Alkohol und Tabletten. Welche Rolle die Genetik bei der Drogensucht spielt, ist auch umstritten. Abhängigkeit ist wohl genetisch vererbbar, aber dennoch muss nicht zwangsweise jeder, dessen Eltern oder Großeltern süchtig waren, ebenfalls einer Sucht zum Opfer fallen! Wahrscheinlich gibt es keine genaue Formel oder Faustregel, die über die Sucht etwas aussagt. Bei mir persönlich sehe ich den Grundstein jedoch schon in der Sucht in frühester Kindheit, welche wiederum aus der Belastungsstörung durch die familiären Probleme entstanden ist.

Im Alter von 26 Jahren musste ich einen Entzug machen, um meinen Führerschein nicht zu verlieren. Damals war ich im Substitutions-Programm und bekam vom Arzt Codein gegen den Heroin-Entzug verschrieben. Das ist aber eine andere Geschichte. Jedenfalls erzählte mir meine Mutter erst zu diesem Zeitpunkt etwas, das mir die Füße unter den Boden wegzog. Ich hätte mir viel erspart, hätte ich früher davon gewusst… Ich dachte immer, ich bin irgendwie nicht ganz richtig im Kopf und habe irgendeinen Defekt, dabei hatte alles einen Grund und einen Ursprung! Gut, recht viel früher konnte meine Mutter mir das auch nicht erzählen, denn ich habe es lange vor meiner Familie verheimlicht, dass ich drogensüchtig geworden war. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machen. Und auch, als meine Mutter dann von meiner Heroinsucht und der Substitution erfahren hat, hat sie lange keinen Zusammenhang zu den Medikamenten gesehen, die ich als Kind bekommen habe, aber mir fiel es wie Schuppen von den Augen…

Also, ihr wisst jetzt ja, wie ich als Baby und als Kleinkind aufgewachsen bin mit den ewigen Streitereien meiner Eltern, die manchmal auch blutig endeten. Dadurch war ich schon als Baby verhaltensgestört. Ich schrie sofort wie am Spieß, wenn nur ein Fremder seinen Kopf in den Kinderwagen steckte, um mich anzusehen. Ich hatte immer Angst vor fremden Menschen, das ist im Grunde bis heute geblieben. Es ist der reinste Horror für mich, wenn ich z.B. eine neue Arbeit anfange und die Leute nicht kenne. Es dauert auch immer sehr, sehr lange, bis ich mich mit Menschen anfreunde, bzw. bis ich mich einigermaßen wohl in ihrer Gegenwart fühle. Das ist auch im privaten Bereich so. Auch da brauche ich unendlich lange, bis ich mit neuen Leuten „warm“ werde, aber wenn ich erst mal mit jemandem wirklich befreundet bin, dann bin ich sehr loyal. Für einen echten Freund würde ich durch die Hölle gehen und es gibt beinahe nichts, was er tun könnte, um meine Freundschaft zu verlieren. Nun ja, im Baby-Alter war mein Verhalten noch nicht das große Problem; ich schrie eben einfach nur, aber später dann wurde es schon schwieriger. Ich hatte z.B. panische Angst vor Ärzten. Wenn ich nur diese weißen Kittel gesehen habe, habe ich sofort geschrien und wollte nur noch weglaufen. Eine Untersuchung war dadurch fast unmöglich, denn ich habe mich mit aller Kraft gewehrt – mit Händen und Füßen - wenn sie mich untersuchen wollten oder mir aber auch nur zu nahe kamen. Meine Mutter ging deshalb mit mir auf Anraten des Kinderarztes, der schon sehr genervt von mir war, zu einem Kinderpsychologen, der bestätigte, dass ich verhaltensgestört war. Heutzutage wurde mir eine „posttraumatische Belastungsstörung“ diagnostiziert; das haben auch Soldaten, die vom Krieg heim kommen. Genau genommen, bin ich ja auch irgendwie im Krieg aufgewachsen. Sicherheit gab es nie und nirgends und ich machte mir ständig Sorgen darüber, dass es meine Eltern irgendwann mal zu weit treiben und der eine den anderen (oder auch mich) aus Versehen umbringt. Es ist erstaunlich, denn man könnte doch meinen, dass es für Kinder, die es gar nicht anders kennen, normal ist, wenn es daheim so zugeht. Aber das ist nicht so! Auch als Kind merkt man schnell, dass es nicht normal ist, wenn Wut und Hass die eigene kleine Welt beherrschen. Das Verlangen nach Harmonie ist jedem Menschen scheinbar angeboren und man gewöhnt sich zwar an manche Zustände, aber selbst als Kind ist einem immer bewusst, dass es nicht normal ist, und dass es auch noch etwas anderes geben muss.

Durch die Tatsache, dass mir damals eine Verhaltensstörung diagnostiziert wurde und ich mich von keinem Arzt untersuchen ließ, hat mein Kinderarzt mir damals ein bestimmtes Medikament verschrieben, das ich im Alter von ca. 3 oder 4 Jahren ungefähr zwei Jahre lang jeden Tag eingenommen habe. Meine Mutter nannte es „die nervöse Medizin“ und sagte mir, dass ich das nehmen soll, damit ich nicht immer so nervös bin, wenn ich fremde Menschen sehe. Diese Medizin war ein gelber, zähflüssiger Saft, der sehr gut und süß nach Mandeln, schmeckte. Als ich im Alter von ca. 12 Jahren das erste Mal in der Eisdiele unserer Stadt einen Amaretto getrunken habe, dachte ich sofort an die „nervöse Medizin“, denn der schmeckte ganz genau so! Ich weiß noch, wie ich meine Mutter immer daran erinnerte, wenn sie mal vergaß, mir den Saft am Morgen, bevor sie mich zu meiner Oma brachte, zu geben. Ich sagte dann immer: „Mama, ich habe heute die „nervöse Medizin“ noch nicht gekriegt!“. Sonst war ich nicht gerade scharf auf irgendwelche Medikamente, aber auf diesen Saft sehr wohl! Ich habe immer darauf geachtet, dass ich ihn kriege. Wenn man bedenkt, dass ich damals schon süchtig danach war, ist das auch normal, denke ich. So funktioniert also auch bei einem Kind das Gehirn schon, dass es weiß, was es braucht, ohne die Hintergründe zu kennen oder überhaupt etwas über Sucht zu wissen. Das ist schon erstaunlich. Nun, ich weiß bis heute nicht, wie die Medizin hieß, aber meine Mutter erzählte mir dann eben im Alter von 26 Jahren nach dem Codein-Entzug, dass diese „nervöse Medizin“ damals Codein war. Der Arzt verschrieb mir das, um mich zu beruhigen und ich war von da an auch ruhiger. Es wäre sonst gar nicht möglich gewesen, mich in den Kindergarten zu stecken, wo ich sowieso nur ein Jahr war und auch da war es noch ein Desaster, als mich meine Mutter dort alleine zurück ließ. Ich brauchte einige Wochen, bis ich nicht mehr heulte und mich vor den anderen Kindern und überhaupt jedem versteckte.

Man muss dabei wissen, wie es damals, so um 1975 war. Also, was ein Arzt sagte, das wurde schon mal überhaupt nicht in Frage gestellt oder angezweifelt, denn Ärzte waren damals noch die Götter in Weiß, die immer recht hatten. Abgesehen davon wusste man von Codein noch nicht so viel, besonders nicht über dessen Suchtpotential. In jedem Hustenmittel – auch in denen für Kinder – war Codein drin. Das wurde erst mit der Zeit weniger. Heutzutage bekommt man selbst als Erwachsener kaum noch Hustenmittel, welches Codein enthält, verschrieben. Es war so 1993, als ich mit Codein substituiert wurde, bis es ein paar Jahre später schließlich ganz aus der Substitution gestrichen wurde. Sämtliche Substitutions-Patienten, u.a. auch ich, wurden damals dann auf Methadon umgestellt, weil sie wohl erkannt haben, wie wahnsinnig süchtig Codein macht und vor allem, wie brutal der Entzug davon ist – nämlich tausendmal schlimmer als der Entzug vom Heroin selbst! Das ist leider bis heute noch bei allen Substitutionsmitteln so, was wirklich sehr fatal ist!

Ich nahm also ca. zwei Jahre lang den Codein-Saft ein, als ich klein war. Irgendwann wurde er abgesetzt und an einen genauen Tag oder Zusammenhang daran, kann ich mich nicht erinnern, aber ich weiß noch genau, wie ich ständig krank war. Wir dachten, ich habe dauernd Grippe, bzw. eine starke Erkältung und ganz lange Durchfall, keinen Appetit mehr, usw. Mir wurden wegen dem dauernden Schnupfen und Niesen (was auch eine Entzugserscheinung ist) dann schließlich die Polypen herausgenommen und kurz darauf auch noch die Mandeln. Ich war sehr depressiv eine lange Zeit und wusste damals oft nichts mit mir anzufangen und mir war ständig schlecht. Ich nervte meine Mutter immer mit dem Satz: „Mir ist so langweilig; mir ist schon ganz schlecht deswegen!“ Ich lag einige Zeit immer im Bett, weil ich mich so elend fühlte und ich hatte Alpträume und schlief überhaupt sehr schlecht. Ja, das alles war also mein erster Entzug – und das auch noch von Codein! Nur wusste das damals niemand. Der Arzt hatte meine Mutter über die Wirkungen und das Suchtpotential von Codein leider auch nicht aufgeklärt und sie hat ihm eben vertraut und sich nicht weiter darüber informiert. Meine Mutter achtete sonst schon sehr auf meine Gesundheit. Sie hat auch nicht geraucht oder getrunken in der Schwangerschaft, wie es manch andere werdende Mütter schon getan haben, die ich kenne. Sie hat mir die Medizin gegeben, weil sie mir gut getan hat und es mir damit viel besser ging, hat sie mir im Nachhinein erzählt. Ich mache meiner Mutter deswegen keine Vorwürfe, aber ich hätte es gerne früher gewusst, dann hätte ich die Zusammenhänge vermutlich erkennen können.

Schließlich war es jedoch mit dem Entzug im Alter von ca. 6 Jahren noch nicht getan! Am Anfang der Pubertät mit ca. 11 Jahren war ich sehr durcheinander, was in dem Alter wohl auch normal ist. Noch dazu war ich unglücklich verliebt, da mein Verknallt-Sein nicht auf Gegenliebe stieß. So war ich damals sehr deprimiert und ich dachte ziemlich oft an Selbstmord. Vor allem, da ich doch sowieso der Überzeugung war, dass ich die nächste in meiner Familie bin, die Selbstmord begeht. Ich sah das als eine Art Fluch, als mein Schicksal. Zu der Zeit war ich manchmal so verzweifelt und ich fühlte mich innerlich so tot, dass ich begann, mich an den Armen mit einer Glasscherbe zu ritzen. Sobald nur ein bisschen Blut floss, fühlte ich mich besser, denn das war der Beweis dafür, dass ich noch lebte! Natürlich habe ich mich nicht wirklich tief geritzt und immer an Stellen, die sonst keiner sah. Ich wollte ja nie meine Eltern mit meinen Problemen belästigen, denn schließlich hatten sie selbst ja genug davon! Deshalb habe ich auch so einiges nicht erzählt, was mir so alles passiert ist (z.B. die sexuellen Nötigungen, die mir meine türkischen Mitschüler damals angetan haben). In dieser Zeit fühlte ich mich so tot und leer und ich war auf der Suche nach etwas, das mir innerlich Ruhe gab. Ich wusste damals kaum etwas über Drogen oder so, aber scheinbar hatte ich durch die Erfahrung mit der „nervösen Medizin“ in der Kindheit einfach ein Verlangen danach, dass ich mir irgendetwas zuführe, das mir hilft. Alkohol kam aber auf keinen Fall in Frage! So habe ich sämtliche dumme Dinge ausprobiert: Ich habe z.B. Aspirin geraucht, was ich keinem empfehlen würde, denn es wirkt gar nicht und raucht in kürzester Zeit ein Zimmer so ein, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sehen kann und es ist sicher auch nicht gesund für die Lunge, denn es stinkt, als würde man eine ganze Plastiktüte verbrennen...! Dann habe ich noch von meiner Oma Herztabletten und so Zeug geklaut und manchmal eine davon genommen. Meine Oma nahm nämlich nie die Tabletten, die ihr der Arzt verschrieb; sie traute ihren Ärzten nicht so blind, wie es meine Mutter damals in ihrer Verzweiflung über mein Verhalten getan hatte.

Zigaretten rauchte ich zu dieser Zeit bereits, aber ich wusste ja noch von den Zeiten mit meiner Tante Miriam und den „Vipers“, dass es Haschisch oder „Gras“ gibt, das man rauchen kann. Da ich nicht wusste, wie ich an so was rankomme, dachte ich mir, dass es vielleicht auch was bringt, wenn man was anderes raucht und so habe ich von Aspirin, über Pfeffer und Paprika alles geraucht, was einigermaßen rauchbar war. Dann hat schließlich eine Schulkameradin im Pausenhof der Realschule gesagt, sie könne etwas „Gras“, also Marihuana auftreiben. So kaufte ich über sie für 20,00 DM das vermeintliche Marihuana, was dann aber überhaupt nicht gewirkt hat. Erst vor vier Jahren stellte sich heraus, dass dieses Kraut damals getrocknete Brennnesseln war und wer hat es wohl einst verkauft??? – Der hessische Bajuware!!! Frechheit!!! Das erste Mal wurde ich also beim Drogenkauf von meinem jetzigen Freund beschissen!!! Hm, naja, heute nehm´ ich´s ihm nicht mehr übel!

Jedenfalls habe ich das alles damals nicht verstanden, warum ich geradezu besessen von der Suche war, nach etwas, das mir mit meinen Emotionen und Depressionen half. Ich denke, dass ich einfach von der Codein-Zeit her noch unterbewusst wusste, dass es da etwas gibt oder geben muss. Ich habe damals sehr an mir gezweifelt und auch niemandem davon erzählt, von dieser rastlosen Suche nach irgendetwas. Ich wusste ja nicht einmal genau, wonach ich eigentlich suchte. Ich dachte, ich bin ein bisschen verrückt und ich hatte ja panische Angst davor, in eine Nervenklinik zu kommen, wenn jemand davon erfährt, um dann womöglich so zu enden wie meine Tante Ingrid. Jetzt weiß ich, dass der Ursprung meiner Drogensucht diese Codein-Medizin war, die ich mit 4 – 6 Jahren bekommen habe…

Viele Grüße, 
Becky 

Fortsetzung folgt ...

© Drogenweltblog 2011 

2 Kommentare:

  1. Ich muss Dir erneut danken! Ich bin mir sicher ich werde noch heute sämtliche Deiner von mir bisher ungelesenen Beiträge durchlesen. Mir selbst wird gerade so vieles offensichtlich. Ich bin erstaunt!!
    Bitte, bitte denke darüber nach ein Buch zu schreiben, sonst muss ich diese Berichte ausdrucken und binden lassen :-)!

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  2. @Anonym:
    Herzlichen Dank für Deine netten und lobenden Kommentare, worüber ich mich sehr gefreut habe! Ursprünglich hatte ich ja vor, meine Lebensgeschichte hier in diesem Blog zu veröffentlichen. Es stellte sich aber heraus, dass die Menschen, die auf unseren Blog kommen, logischerweise hauptsächlich an den Geschichten interessiert sind, in denen es ausschließlich um Drogen geht. Darum schreibe ich jetzt quasi durcheinander und habe die Chronologie meiner Geschichte verlassen.
    Trotzdem habe ich vor, meine ganze Geschichte niederzuschreiben. Ein Buch zu veröffentlichen ist leider nicht so einfach, da man erst einmal einen Verlag finden müsste, der es veröffentlicht. Aber ein E-Book könnte daraus schon werden, wozu mich unter anderem auch deine Kommentare ermutigen! Wenn es mal so weit ist, signiere ich es Dir selbstverständlich gerne! :-)
    Weiterhin viel Spaß beim Lesen!
    Becky

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Vielen Dank für Deinen Kommentar!
*-- Becky --*