Mittwoch, 18. Januar 2012

Becky – Warum gibt es diesen Blog eigentlich?

Die Hintergründe dafür, dass ich meine Lebensgeschichte mit einer breiten Öffentlichkeit teile 

Ihr kennt mich nicht und ihr seht hier einen Blog, in dem unter anderem eine Ex-Drogensüchtige über ihr Leben berichtet. Denen, die das interessiert, wie es dazu kam, möchte ich es hier gerne erklären.

Eigentlich bin ich sehr menschenscheu und wirklich nicht der Typ, der jedem gleich seine Lebensgeschichte auf´s Auge drückt. Seelen-Striptease ist wirklich nicht mein Ding (darum scheute ich auch immer die ambulanten psychosozialen Drogentherapien). Nachdem ich nach 20-jähriger Sucht den Entzug bei NESCURE gemacht hatte und mich danach im Urlaub auf den Kanaren befand, gingen mir die ganzen letzen Jahre durch den Kopf und ich ließ alles noch einmal Revue passieren. Dabei kam mir der Gedanke, dass es vielleicht Menschen geben könnte, die aus meiner Geschichte irgendetwas lernen oder sich in irgendeiner Art und Weise wiederfinden könnten. Nachdem ich all meine persönlichen Desasters einigermaßen für mich verarbeitet hatte, kam die Wut. Ich dachte an meine Freunde und Bekannte, die an Drogen auf die ein oder andere Art gestorben sind und die sich umgebracht haben, weil sie ihre Sucht-Situation nicht mehr ertragen konnten. Hätten die doch nur auch diesen Entzug gemacht! Ich bin davon überzeugt, dass sie alle diesen Entzug dort geschafft hätten! So viele von ihnen könnten noch leben und ich hätte noch Freunde und keine Angst, mich auf neue einzulassen. Gut, mir wurde klar, dass ich die Vergangenheit nicht ändern kann, aber vielleicht ein ganz kleines bisschen die Zukunft!
 

Mir ließ der Umstand keine Ruhe mehr, dass diese hilfreiche Methode, von Drogen loszukommen, kaum bekannt ist! Hätte mich der Hessische Bajuware nicht davon überzeugt, dann hätte ich es bis heute nicht versucht und wäre immer noch voll dabei! Und der ist auch wiederum eher durch Zufall darauf gekommen. Da schon immer auch ein kleiner Rebell in mir steckt, gepaart mit dem Bedürfnis, Menschen zu helfen, bzw. mir Sorgen um sie zu machen, habe ich beschlossen, dass doch mehrere Leute erfahren sollten, dass es eine Entzugs-Methode gibt, die sogar mir als scheinbar hoffnungslosen Fall helfen konnte! Eine Methode, die nicht an irgendwelche dämliche Zwänge und Vorschriften gebunden ist, wie viele Therapien, die ich schon immer abgelehnt habe, und die vor allem nur so kurze Zeit in Anspruch nimmt und noch dazu nicht all zu viel Kraft kostet, weil man kaum Entzugserscheinungen spürt! Nun, die Toten kann ich nicht zurück holen, aber es gibt mit Sicherheit viele Drogensüchtige, die ich zwar nicht kenne, aber um die es auch ewig schade wäre, wenn sie daran zugrunde gehen würden, nur weil der Absprung auf konventionelle Art so verdammt schwer bis unmöglich ist!
 
Schließlich habe ich mich im Internet auf die Suche begeben nach Statements oder Berichten von den mittlerweile sicherlich schon vielen Menschen, die bereits mit dieser Methode entzogen haben und ich habe da – außer den Erfahrungsberichten auf der Seite von NESCURE selbst oder der Schweizer Seite – nichts gefunden! Alle, die den Entzug mit uns durchgezogen haben, waren davon total überrascht und begeistert und ich fragte mich natürlich, warum da nichts im Netz darüber zu finden ist. Ich glaube, dass alle, die ihre Drogenzeit durch diesen Entzug hinter sich gelassen haben, nichts mehr davon wissen wollen. Sie sind viel zu beschäftigt damit, endlich ihr Leben zu leben und wieder in Ordnung zu bringen und wollen sich natürlich nicht auch noch im Nachhinein als Ex-Drogensüchtige outen. Sie wollen sich damit einfach nicht mehr beschäftigen, denn sie haben ihr Interview und ihre Meinung ja bei NESCURE bereits abgegeben (die meisten anonym) und wollen nun ihr Drogenleben davor vergessen. Das ist ja auch mehr als verständlich! Die Anonymität hilft mir hier ja auch, um so offen über mein Leben schreiben zu können und ich tue es irgendwie auch für mich selbst, um das alles endgültig verarbeiten zu können. Außerdem war ich auch noch nie der „Nach-mir-die-Sintflut-Typ“ und ich kann eben auch nicht aus meiner Haut…
 

Logischerweise ist mir schon klar, dass das hier nicht jeder glauben wird oder sich das vorstellen kann (konnte ich ja auch viel zu lange nicht), aber zumindest kann ich meine Erfahrungen mit der NESCURE-Methode hier bekannt machen und vielleicht kann der ein oder andere durch meine Geschichte auch ein neues Leben anfangen! Das ist auch der Grund dafür, dass ich meine fast letzte Geschichte jetzt schon veröffentlicht habe, da für Manche jeder Tag zählt! Verdammt, es gibt etwas, das vielen helfen kann und kaum einer weiß davon! Was in meiner Möglichkeit steht, möchte ich tun, um diesen Umstand zu ändern, damit immer mehr von dieser Entzugsmethode erfahren und sich hoffentlich auch viele darauf einlassen. Scheiß auf den Staat! Scheiß auf die Pharma-Lobby! Scheiß auf Entzugskliniken! Wir (Ex-) Süchtige und Drogenkonsumenten müssen doch zusammen halten! Und wer weiß? Vielleicht gibt es irgendwann einmal den Zeitpunkt, an dem das auch die Krankenkassen einsehen und dafür bezahlen. Je populärer die NES-Entzugs-Methode wird und je mehr Leute das in Anspruch nehmen, desto größer ist die Chance, dass auch die Krankenkassen irgendwann nicht mehr an der neuro-elektrischen Stimulation vorbeikommen! So, jetzt kennt ihr alle Hintergründe. Ich bin ein ehrlicher Mensch und ich schreibe hier lediglich meine Erfahrungen und alles, was ich im Laufe der Zeit bei meinen Freunden und Bekannten beobachtet habe, in der Hoffnung, dass jemand etwas damit anfangen kann und selbst, wenn nicht, dann ist es hoffentlich wenigstens unterhaltsam…

… und nun noch ein Zitat in eigener Sache, das ich mein Leben lang schon so gut finde, dass ich es unbedingt hier einmal einbringen möchte:

„Es ist ein unerträglicher, ja verbrecherischer Hochmut, wenn ein Mensch über die Existenz eines anderen Menschen sagt, sie sei sinnvoll oder sie sei sinnlos.
 
Niemals werden wir verwirrten, ohnmächtigen Wesen, die wir auf der Erde herumkriechen, das entscheiden können.
 
Und niemals werden wir wissen, welche Bedeutung, welche unerhörte Bedeutung – sogar oder gerade – ein Mensch in seiner tiefsten Erbärmlichkeit haben kann.“ 

von Johannes Mario Simmel

Liebe Grüße,
Becky 


© Drogenweltblog 2012

Samstag, 14. Januar 2012

Chronisch (Sucht-) Kranke werden kriminalisiert, Pädophile werden von Polizei und Gerichten geschützt! Deutschland, wie arm bist Du?

Drogen- statt Kinderpornofahndung

von Hans Cousto 

In Deutschland wurde die Öffentlichkeit in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem Begehren einer erweiterten Telekommunikationsüberwachung des öfteren mit äußerst fragwürdigen Argumenten getäuscht. Allen voran ist hier Ursula von der Leyen, von 2005 bis 2009 Familienministerin, zu nennen. Sie machte umstrittene Vorstöße zur Sperrung von Webseiten mit kinderpornographischem Inhalt. Von der Leyen nannte regelmäßig falsche Fallzahlen und behauptete, es gebe eine regelrechte „Kinderpornoindustrie“. Stephanie Anna Charlotte Freifrau von und zu Guttenberg sekundierte ihr dabei in der der RTL-2-Sendung „Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder“. Am 5. April 2011 beschloss die Bundesregierung, das heftig umstrittene Zugangserschwerungsgesetz aufzuheben.

Wie wichtig die Telekommunikationsüberwachung für die Bekämpfung von Kinderpornographie und Terrorismus in Wirklichkeit ist, offenbart die Justizstatistik des Bundesministeriums für Justiz. Die Anzahl der Überwachungsanordnungen (Maßnahmen nach § 100a Strafprozessordnung) bezüglich Telekommunikation (Festnetz, Mobilfunk, Internet) lag im Jahr 2010 bei insgesamt 20.398. Im Jahr 2009 lag die Anzahl bei 20.358 und im Jahr 2008 bei 16.463. Darin nicht enthalten sind Abhörmaßnahmen der Polizei zu präventiven Zwecken und die nicht von der Justiz kontrollierten Eingriffe der Nachrichtendienste in das Fernmeldegeheimnis. Den Jahresübersichten des Bundesministeriums für Justiz kann entnommen werden, aufgrund welcher einzelnen Katalogtat des § 100a Strafprozessordnung die Überwachungen angeordnet wurden. Die meisten Abhörmaßnahmen wurden wegen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgrund von § 100a Abs. 2 Nr. 7a und Nr. 7b StPO angeordnet. Im Jahr 2010 wurden hierzu 6.880 Fälle registriert (33,73% aller Fälle). Im Jahr 2009 waren es 7.174 Fälle (35,24% aller Fälle) und im Jahr 2008 waren es 5.498 Fälle (33,40% aller Fälle). Im Zusammenhang mit der Verbreitung, dem Erwerb und dem Besitz von Kinderpornographie wurden im Jahr 2010 lediglich 19 Fälle registriert (0,093% aller Fälle). Im Jahr 2009 waren es ebenfalls 19 Fälle (0,093% aller Fälle) und im Jahr 2008 waren es 14 Fälle (0,085% aller Fälle).Kinderpornographie spielte in den letzten Jahren bei der Telekommunikationsüberwachung in der Praxis nur eine marginale Rolle, ganz im Gegensatz zur medialen Berichterstattung bezüglich dieses Themenkomplexes.........

Quelle: TAZ.de

Donnerstag, 12. Januar 2012

Becky - Der Anfang vom Ende: Der erste Kontakt mit Heroin und der Beginn einer 19-jährigen Beziehung

Die Sorge um meine drogensüchtigen Freunde, Neugierde und Resignation ließen mich selbst Heroin ausprobieren

Es war Sommer 1987 und ich hatte mit meinen 16 Jahren gerade die größte Enttäuschung hinter mir, die man sich vorstellen kann, weil mein Freund Matthias sich von mir getrennt hat, da er plötzlich mit meiner besten Freundin Sabrina zusammen war (siehe: Becky - Verrat, Betrug, Verlust und einschneidende Veränderungen führten letztendlich in den Drogensumpf). Meine Mutter war von ihrem neuen Freund schwanger und deshalb sehr verunsichert. Es ging alles drunter und drüber. Die Abschlussprüfungen in der Realschule hatte ich nun Gott sei Dank hinter mir und damit die Mittlere Reife in der Tasche. Bewerbungen hatte ich schon einige geschrieben, unter anderem auch eine an das Landratsamt in unserer Kreisstadt für einen Ausbildungsplatz als Verwaltungsfachangestellte. Auf diese Idee kam ich eigentlich nur, weil mein Opa dort Oberamtsrat war (aber mittlerweile schon einige Jahre in Pension) und auch dort sein Leben lang gearbeitet hat, worauf er sehr stolz war. Ursprünglich hätte auch mein Vater dort arbeiten sollen, aber der schmiss damals seine Ausbildung in der Handelsschule, wie es damals noch hieß, weil er – ganz zum Ärgernis meiner Großeltern – mit meiner Mutter zusammen kam und auf ein Ausbildungs-Gehalt keine Lust hatte und gleich richtig arbeiten und viel Geld verdienen wollte. Das nahmen ihm meine Großeltern noch immer übel und sie hassten meine Mutter auch deshalb. Obwohl meine Eltern bereits geschieden waren, fühlte ich mich irgendwie dazu verpflichtet, mich dort zu bewerben. Ich glaubte schon immer an das Schicksal und dachte, dass schon alles so geschehen wird, wie es für mich vorgesehen ist. Naja, um der Wahrheit die Ehre zu geben, tue ich mich schon mein Leben lang sehr schwer mit Entscheidungen und da liegt es nun mal nahe, das Schicksal für mich entscheiden zu lassen. Ich nenne es Schicksal, andere Zufall oder göttliche Fügung, aber darauf kommt es ja nicht an. Schließlich kam eines schönen Tages ein kleiner Brief vom Landratsamt mit einer Einladung zum Vorstellungsgespräch und ich bekam dort tatsächlich die Ausbildungsstelle. Im Grunde wollte ich damit meinen Großeltern und meinem Vater eine Freude machen, die bis dahin noch nichts von dieser Bewerbung wussten. Ich wollte nicht, dass mein Opa da womöglich seine Kontakte spielen lässt. Wenn es so sein sollte, dass ich dort eine Ausbildung mache, dann aus eigener Kraft, denn es sollte ja das Schicksal entscheiden. Tja, sie waren begeistert, dass ich jetzt in dieser Behörde meine Lehre absolvieren würde und irgendwie war es auch eine Genugtuung für meinen Vater, dass wenigstens seine Tochter in den Augen seiner Eltern kein Versager war. Meine Familie mütterlicherseits und auch ich waren zumindest darüber erleichtert, dass ich überhaupt eine Ausbildungsstelle bekommen habe. Dass der Job in einem Amt im öffentlichen Dienst zu meiner Persönlichkeit so überhaupt nicht passte, wurde mir erst später bewusst.

Zuerst standen nun aber erst einmal die Ferien an, bevor der Ernst des Lebens begann. Als ich mich wieder einmal allein in der Stadt herumtrieb, hörte ich plötzlich Gitarrenklänge an der Mariensäule, die sich in der Mitte unserer Stadt befindet. Auf der Treppe an dieser Säule saß ein Mann und spielte auf seiner Gitarre. Ich setzte mich dazu und wir kamen schließlich ins Gespräch. Er hieß Georg und hatte mit seinen Eltern in unserer Stadt einen Geflügelbetrieb, also eine Brüterei. Es stellte sich heraus, dass Georg auch kiffte und so gingen wir zur Mauer hinter der Kirche und rauchten erst einmal einen Joint zusammen. Wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut und er hatte in vielen Dingen die gleiche Einstellung wie ich. Er war zwar fünf Jahre älter als ich, aber das störte überhaupt nicht. Er spielte noch etwas auf seiner Gitarre und wir verabredeten uns für den nächsten Tag. Von da an trafen wir uns regelmäßig. Ich besuchte ihn in der Brüterei und wir fuhren auch mal ins Kino, als dort „Hair“ lief! Ich konnte super mit Georg über alles reden und ich hatte das Gefühl, dass er mich versteht. Er erzählte mir, dass er ein Problem mit Heroin hat und dass er zwar noch nicht körperlich süchtig danach ist, aber er einfach nicht die Finger davon lassen kann. Außerdem hatte er auch dem Alkohol sehr zugesprochen und gelegentlich merkte man ihm schon an, dass er ein paar Bier zu viel erwischt hatte. 
Heroin
Ich fand es schade, dass so ein netter Kerl heroinsüchtig war und wollte ihm unbedingt irgendwie helfen, aber mehr, als ihm gut zuzureden und ihn abzulenken, konnte ich eigentlich ja auch nicht tun. Jedenfalls machte ich mir große Sorgen um ihn. In meiner Anwesenheit hat er aber nie Heroin konsumiert; wir haben nur immer zusammen gekifft. Ich sah Georg hauptsächlich als Freund, obwohl ich mir schon auch mehr vorstellen konnte. Offenbar wollte auch Georg mehr als nur Freundschaft von mir. Er war sehr witzig und manchmal hing an meinem Fahrrad ein Brief von ihm, in dem er beispielsweise seine Absichten in einer Art Partnerschaftsanzeige, wie sie in Zeitungen stehen, formulierte: „Hase sucht Häsin, mit der er sein Leben verbringen kann und die auch gerne mit in den Stall geht“. Da ich Ferien hatte und Geld brauchte, half ich ihm öfter dabei, die Brut-Maschinen zu säubern. Das sind so große Kästen mit Stahl-Streben und man konnte da nur hineinklettern, wenn man klein und sehr gelenkig war. So verdiente ich mir etwas Geld und konnte auch tagsüber Zeit mit ihm verbringen. Es war aber schon eine äußerst anstrengende und schmutzige Arbeit. Nach einer solchen Reinigungsaktion schnäuzte ich immer noch drei Tage lang diesen schwarzen Staub. Gesund ist sowas sicher nicht, aber die süßen Küken entschädigten dafür. Er hatte auch ein paar Puten, Perlhühner, Rebhühner und noch viel mehr an Vogel-Getier. Aus den Ställen sammelte ich immer die schönsten Federn ein, die ich mir dann in meine Haare einflocht. Es war eigentlich eine schöne Zeit mit Georg, aber er sagte mir immer deutlicher seine Absichten. Er mochte so bald wie möglich eine Partnerin, die ihm dann auch schnellstens einen Sohn schenken sollte, der dann später den Geflügelbetrieb übernehmen wird, so wie er es schon getan hat. Ich war gerade erst 16 Jahre alt und total überfordert mit einer so konkreten Zukunftsplanung. Außerdem habe ich mir als Kind schon immer vorgenommen, dass ich niemals heiraten würde und keine Kinder bekommen möchte. Beides habe ich übrigens bis heute eingehalten. Leider habe ich außer bei meinen Großeltern überhaupt keine Beispiele aus meinem Bekannten- und Verwandtenkreis, bei denen die Ehen gehalten hätten und so sah ich nicht viel Sinn in einer Heirat. Abgesehen davon war ich auch skeptisch, wie das mit Georg laufen würde, wenn er Kinder hat, weil er doch drogensüchtig war! Letztendlich sagte ich ihm, dass ich dazu nicht bereit war und damit waren die Fronten dann auch geklärt und wir waren eben nur Freunde. Außerdem finde ich es auch schrecklich, wenn man ein Kind bekommt, also einen Sohn, nur damit er später einmal den Familienbetrieb übernehmen soll. Wenn er nun Arzt oder Maurer werden möchte, dann käme das gar nicht in Frage. So ein Familienbetrieb und diese Tradition an sich ist schon etwas Schönes, aber es sollte nicht so ein Zwang dahinter stecken. Außerdem hat ja vielleicht auch eine Tochter Lust dazu, den Geflügelbetrieb zu übernehmen und die dürfte dann nicht, weil sich das eben für ein Mädchen nicht gehört. Das sind doch Einstellungen wie im Mittelalter! So viele Zwänge und Vorbestimmungen über noch nicht einmal geborene Leben wollte ich nicht akzeptieren. Tja, aber was soll ich sagen? Einige Monate später hatte Georg eine Freundin gefunden, die ihm dann im Laufe der nächsten Jahre erst drei Mädchen (!) geschenkt hatte, bis sie dann endlich einen Sohn bekam! Na Gott sei Dank ist dieser Kelch an mir vorüber gegangen! Naja, man kann im Grunde nicht sagen, ob es für mich nicht im Endeffekt besser gewesen wäre, wenn ich mich auf dieses „Abenteuer“ so früh eingelassen hätte. Zumindest wäre mein Leben ganz anders verlaufen, aber ich könnte heute nicht über meine Drogen-Erfahrungen schreiben, das steht fest. Trotzdem wäre ich unter diesen Voraussetzungen mit Sicherheit nicht glücklich geworden!

Die ganze Zeit über ging mir aber auch Stefan nicht aus dem Kopf. Er war ja quasi der Dealer von Matthias und seit der mit mir Schluss machte, habe ich auch Stefan nicht mehr getroffen. Ich fühlte mich schon immer zu Stefan hingezogen. Er wirkte so verwegen und wild mit seinen zweifarbigen Haaren (oben rot und unten schwarz bei glatten halblangen Haaren; „Vokuhila“ eben – damals sehr modern und ihm stand das auch sehr gut) und natürlich war er auch durch die Tatsache für mich interessant, da er mit Drogen aller Art zu tun hatte (was aber nicht der Hauptgrund war, ihn sehen zu wollen, nur ein praktischer Nebeneffekt). Für Drogen interessierte ich mich schon noch sehr; ich hatte nur ein Problem damit, wenn andere Menschen, an denen mir etwas lag, darunter litten. Den Drogenkonsum sah man Stefan allerdings auch schon an. Er war sehr dünn und hatte enorme Augenringe. Ich hatte schon immer eine Schwäche für die „bösen Jungs“, viel mehr als für die braven oder normalen Typen. Stefan hielt sich leider nie lange bei Matthias auf und war dauernd im Stress durch seine Drogengeschäfte, so dass ich eigentlich nicht wirklich viel über ihn wusste, nur die paar Geschichten, die mir sein Freund Harry erzählte (siehe: Becky – Verrat, Betrug, Verlust und einschneidende Veränderungen führten letztendlich in den Drogensumpf). Ich wollte Stefan unbedingt wieder treffen und so beschloss ich, ihn einfach einmal anzurufen. Damals gab es noch keine Handys. Ich wusste nur seinen Namen und dass er im Nachbardorf wohnte (in dem auch der Hessische Bajuware aufgewachsen ist). So wälzte ich das Telefonbuch und musste feststellen, dass es mit dem Nachnamen ganze fünf Einträge in dieser Ortschaft gab. So dachte ich wieder, dass doch das gute alte Schicksal entscheiden soll. Ich sah mir die Telefonnummern an und entschied mich aus dem Bauch heraus kurzerhand für eine der Nummern, welche ich dann mit zitternden Händen wählte. Ich war doch so schüchtern und sehr aufgeregt, weil ich gar nicht wusste, wie er wohl reagieren würde und ob er überhaupt etwas mit mir zu tun haben wollte. Plötzlich ging eine Frau ans Telefon und ich fragte einfach, ob Stefan da sei. Sie bejahte dies und rief ihn. Es stellte sich heraus, dass Stefan mit seinem Bruder Markus und seiner Mutter in einem Haus zusammen wohnten. So, das Schicksal hatte also wieder einmal gesprochen, dachte ich und war etwas erstaunt, dass sich mein Bauchgefühl auf Anhieb für die richtige Telefonnummer entschieden hatte. Es sollte also so sein, dass ich Stefan besser kennenlerne. Mir schnürte es fast die Kehle zu vor lauter Aufregung, als ich seine Stimme hörte. Ich erklärte, wer ich war - nämlich die Ex-Freundin von Matthias - und fragte ihn, ob wir uns mal treffen könnten, weil ich etwas zu rauchen bräuchte. Das war der beste Vorwand, der mir einfiel, um ihn wieder zu sehen und außerdem wollte ich ja tatsächlich was zu rauchen, was ich mittlerweile aber auch von anderen Leuten bekommen hätte können. Tja, jetzt musste ich selber für meine Drogen sorgen. Die Zeiten waren ja nun vorbei, in denen ich bei Matthias mitrauchen konnte. Stefan sagte sofort zu und wir verabredeten uns für den Nachmittag des nächsten Tages.

Er kam pünktlich mit seinem gelben BMW um die Ecke geschossen. Ich war sehr aufgeregt und stieg in sein Auto ein. Ich weiß noch, dass es ein schöner, sonniger Tag war und wir fuhren zu so einem kleinen Tunnel an der Amper am Stadtrand und er baute erstmal einen Joint für uns. Dann unterhielten wir uns lange und sehr gut über Gott und die Welt und hörten Musik. Im Gegensatz zu den sonstigen Treffen, bei denen ich ihn mit Matthias getroffen habe, weil er ihm Cannabis oder LSD verkaufte und er immer gleich wieder weg musste, nahm er sich dieses Mal sehr viel Zeit für mich. Wir fuhren etwas spazieren und dann parkte er in einem Wald, wo wir den nächsten Joint rauchten. Er hatte zu dieser Zeit sehr gutes Marihuana dabei und er baute immer von seinem Zeug und nicht von dem, welches er mir für meine 50,00 DM gegeben hatte. Natürlich erzählte ich ihm auch von der großen Enttäuschung mit Matthias und Sabrina und ich fühlte mich mehr und mehr zu ihm hingezogen. Eigentlich war ich schon sehr verknallt in ihn. Schließlich küssten wir uns im Auto, als auf einmal ein paar Spaziergänger des Weges kamen. Stefan fragte mich, ob ich Lust hätte, mit zu ihm nach Hause zu kommen. Ich wusste, worauf das hinaus laufen würde und bejahte dennoch seine Frage. Es waren Ferien und ich durfte ja schon mit 15 Jahren bei Matthias übernachten, wenn ich keine Schule hatte. Die Pille nahm ich ja auch schon seit einigen Monaten, nachdem ich die „Pille danach“ schlucken musste, weil das verdammte Kondom bei Matthias damals platzte. So musste ich auch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zuhause sein und solange ich meiner Mutter Bescheid sagte, dass ich nicht oder erst später nach Hause kam, war das für sie auch in Ordnung. So fuhren wir zu ihm und mittlerweile war es bereits Nacht geworden. Eigentlich war ich nie der Typ, der schon beim ersten Treffen quasi mit einem in die Kiste sprang (bis dahin hatte ich erst zwei feste Freunde gehabt und auch mit genau so vielen Menschen hatte ich bis dato auch Sex), aber ich wollte nichts falsch machen und dachte, dass ich ihm so wenigstens einmal nahe sein konnte. An eine feste Beziehung dachte ich eigentlich gar nicht, denn ich habe noch nie mitbekommen, dass er eine feste Freundin gehabt hätte und wusste, dass er eher ein paar lockere „Beziehungen“ zu einigen älteren (drogensüchtigen) Frauen pflegte. In seinem Zimmer stand nur eine Tischplatte auf ein paar Ziegelsteinen auf dem Boden und in der Ecke lag eine Matratze. Die Wände waren weiß und hellblau diagonal gestrichen und es hingen zwei kleine Dali-Bilder an den Wänden. Ansonsten war sein Zimmer ziemlich leer, bis auf einen Fernseher, der ebenfalls auf dem Boden stand und eine Stereoanlage. Seine Mutter war wohl nicht begeistert, dass er Besuch dabei hatte; das konnte ich in seinem Zimmer im ersten Stock hören, als er im Erdgeschoss kurz mit ihr gesprochen hatte, während er etwas zu trinken für uns holte. So unterhielten wir uns noch etwas, rauchten einen weiteren Joint und dann schliefen wir miteinander – drei mal hintereinander mit kurzen Pausen dazwischen! Diese Art von Sex hatte ich bisher noch nie erlebt! Genau genommen wusste ich bis dahin noch nicht einmal, dass Sex überhaupt öfter als einmal am Tag möglich war! Ich war also sehr zufrieden und glücklich, als Stefan mich dann gegen ca. 3:00 Uhr früh nach Hause fuhr. Ich gab ihm noch meine Telefonnummer und wir verabschiedeten uns mit einem Kuss. Erschöpft schlief ich ein und ich dachte das erste Mal nicht mehr an Matthias und Sabrina.

Zwei Tage später rief mich Stefan an und wir trafen uns dann immer öfter. Er holte mich gewöhnlich mit dem Auto bei mir zuhause ab und er weihte mich nach und nach auch immer mehr in seine Drogengeschäfte und seinen Konsum ein. Er verkaufte und nahm sehr viele LSD-Trips und er hatte auch schon des Öfteren Heroin geschnupft, erzählte er mir. Ich genoss die Zeit mit ihm und als ich eines Nachts bei ihm übernachtete, kamen früh morgens Chris und Harry bei ihm vorbei. Harry staunte nicht schlecht, als er mich plötzlich im Bett (bzw. auf der Matratze) von Stefan sah! Chris war zu der Zeit Stefan´s bester Freund und zwar kannte ich ihn bis dahin noch nicht persönlich, aber er war mir bereits vom Hörensagen als Drogendealer unserer Gegend wohl bekannt. Chris fuhr mich an diesem Morgen nach Hause mit seinem fetten Mercedes und er versuchte mit seiner rasanten Fahrweise sofort, bei mir Eindruck zu schinden. Chris war eben auch ein „böser Junge“ und da er einer der besten Freunde von Stefan war, habe ich auch versucht, so cool wie möglich zu bleiben.