Mittwoch, 31. August 2011

Becky - ...wenn sich der Vater im Vollrausch den Bauch aufschlitzt...

Aufwachsen im Alkohol-Terror

Fortsetzung von Becky´s Story

Meine Kindheit war nicht gerade ein Zuckerschlecken. Mein Vater begann zu trinken schon kurz bevor ich geboren wurde. Naja, er war Getränkeausfahrer, „Bierfahrer“ nannte man das früher und da bekam er täglich kostenlos einen Kasten Bier mit nach Hause. Den trank er meistens auch brav aus, nachdem er um ca. 17:00 Uhr mit der Arbeit fertig war.

Meine Eltern hatten erst nebenbei noch einen Brotladen (da wurde nur Brot verkauft; nicht gebacken), in dem ich mich hin und wieder aufhielt. Immer, wenn es irgendwo nach Brot duftet, erinnert mich das heute noch an diese Zeit im Brotladen. Ich war überhaupt so oft es ging dabei, wenn meine Eltern arbeiteten, um meine Oma zu entlasten, denn die hatte mich ja sowieso die meiste Zeit an der Backe. Mein Vater nahm mich später manchmal mit, wenn er eine Tour in unserer Stadt hatte und so saß ich manchmal ganz hoch oben auf dem Beifahrersitz im LKW oder das ein oder andere Mal auch – auf meinen Wunsch hin – hinten auf der Ladefläche zwischen, bzw. auf den Getränkekisten. In manchen Gaststätten ging ich in den Keller und fing dort die großen Bier-Fässer auf, die mein Vater von oben auf einem Brett nach unten rollen ließ. Ich war gern dabei beim Getränke Ausfahren.

Später gaben sie den Brotladen auf und meine Mutter pachtete eine Gaststätte in einem Dorf, ca. 10 km von unserem Wohnort entfernt. Es war eine einfache Wirtschaft, in der mein Vater mithalf, wenn er mit dem Bierfahren fertig war (obwohl er am Anfang sehr gegen die Gaststätte war; er wurde von meiner Mutter auch nicht gefragt, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt; tja, so ist meine Mutter auch heute noch…) und selbst meine Oma unterstützte meine Mutter dort beim Kochen. Da hielt ich mich dann viel als Kind auf. Meine Mutter trank dann auch mit den Gästen abends mit (wenn es möglich war, dann schüttete sie auch nur Wasser statt Schnaps in ihr eigenes Glas) und manchmal fuhren wir nicht mehr nach Hause, sondern schliefen im Nebenzimmer der Gaststätte. Vor allem ich schlief dort immer am Abend bis mich spät in der Nacht meine Mutter weckte, um heimzufahren. Ich kann mich noch erinnern, dass manchmal nachts betrunkene Gäste in das Nebenzimmer rein kamen, weil sie sich wohl verlaufen hatten oder aber meiner Mutter auf die Pelle rücken wollten. Sie ist eine sehr hübsche Frau muss man wissen und mein Vater war auch immer eifersüchtig, deshalb fing er manchmal Streit mit den Gästen an. Mir hat niemand was getan, aber ich verabscheute diese Leute damals irgendwie, wie sie herumlallten und durch die Gegend torkelten. Ich hasste den Alkohol überhaupt und wollte auch als ich schon etwas älter war, kein Bussi von meiner Mutter, wenn sie nach Wein roch. Was ich an dieser Gaststätte aber liebte, war die Musikbox. „Theo, wir fahr´n nach Lodz“ war da z.B. ständig zu hören und „Seasons in the sun“ - das ist auch heute noch eines meiner absoluten Lieblingssongs. Ich mochte auch den Flipper und den Spielautomaten, den wir später, als wir die Gaststätte wieder aufgaben, mit nach Hause nahmen, um ihn da sozusagen als Spardose zu gebrauchen. Schließlich kam, was kommen musste, wenn man, wie meine Mutter, ständig mit dem Auto noch spät nachts nach der Gaststätten-Arbeit mehr oder weniger betrunken nach Hause fährt. Sie fuhr in unserer Stadt mitten in das Schaufenster eines Cafe´s, das komplett zerbrach und beging anschließend Fahrerflucht. Ich fuhr diese Nacht nicht mit ihr mit, sondern fuhr vorher schon mit meinem Vater heim. Jedenfalls weiß ich noch genau, dass es plötzlich mitten in der Nacht an der Tür klingelte und meine Eltern reagierten nicht. Als dann von der Terrasse aus sich plötzlich im Wohnzimmer die Rollladen lärmend bewegten, da die Polizisten sie nach oben schoben und hereinschauten, stellten sich meine Eltern schlafend auf dem Sofa. Zwar flüsterten sie mir zu, ich solle auch schlafen, aber ich wusste es ja nicht besser und so habe ich meine Eltern verraten, indem ich sie rüttelte und wecken wollte – völlig sichtbar für die Polizei natürlich. Naja, wahrscheinlich wären sie auch ohne mich mit dieser Nummer so nicht durchgekommen, aber ich fühlte mich dennoch damals schuldig daran, dass meine Mutter für einige Zeit ihren Führerschein verlor, obwohl mir niemand einen Vorwurf machte. Sie sagte nur lachend zu mir: „Du verrätst auch noch dein Vaterland!“. Das war so ein Spruch, der bei uns öfter mal gebraucht wurde. Ich war damals ca. 3 oder 4 Jahre alt.

Das sind Dinge, an die ich mich erinnern kann und noch vieles mehr. Aber es gibt auch eine Begebenheit, an die ich mich nur bedingt erinnern kann, bzw. die mein Unterbewusstsein sehr beherrscht hat. Ich weiß das aus Erzählungen, nachdem ich meine damals unerklärliche Angst vor Messern geäußert habe, bzw. die Angst, dass mir irgendwer ein Messer in den Bauch sticht. Ich habe meine gesamte Kindheit über mit Stofftieren geschlafen. Stofftiere waren unheimlich wichtig für mich und wie einen Schutzwall habe ich jede Nacht fein säuberlich meine kleinen Stofftiere rund um mich in meinem Bett innen hin drapiert, so dass kein Millimeter frei war. Einen großen, flachen Stoffhund namens „Bello“ habe ich mir immer auf den Bauch gelegt als Schutz vor dem Messer (den Hund hatte mein Vater nach der Scheidung immer in seinen Autos hinten auf der Ablage liegen und nach seinem Tod habe ich ihn schließlich wieder zu mir genommen! Wahnsinn, der Hund muss nun schon ca. 36 Jahre alt sein! Naja, so schaut er auch aus…). Woher aber nun diese Angst vor dem Messer in den Bauch und auch Bilder in meinem Kopf von rotem Blut auf weißem Hintergrund? Mit der Zeit haben mir meine Mutter und meine Oma erzählt, woher das wohl kam. Durch den Alkoholkonsum auf beiden Seiten (mittlerweile weiß ich aus eigener Erfahrung, dass es fast unmöglich ist, mit einem alkoholabhängigen Menschen zusammenzuleben und selbst dabei nüchtern zu bleiben, wenn man nicht gerade total „straight“ und gefestigt ist und in keinster Weise anfällig für jegliche Rauschzustände) stritten sie täglich und es flogen regelmäßig die Fetzen, eigentlich bis zur Scheidung, als ich 13 Jahre alt war. Jedenfalls war es damals wohl wieder besonders schlimm und ich war noch zu klein, um Schlimmeres zu verhindern, was ich später sehr wohl immer getan habe, sobald es eskalierte. Ich war ca. 1 ½ Jahre alt und saß im Flur unserer Wohnung, während meine Eltern wieder einmal extrem stritten. Meine Mutter lief ins Schlafzimmer und sperrte sich darin ein. Sie hatte keine Zeit mehr, mich mitzunehmen, sonst hätte sie mein Vater erwischt. So griff mein Vater – selbst total im Vollrausch und voll Adrenalin durch den Streit – zu einem Küchenmesser und schlitzte sich den Bauch von oben nach unten auf. Das Blut, das in Massen aus ihm herausschoss, schmierte er überall an die weißen (!) Türen. Ich saß mittendrin und schaute das mit an. Ich muss wohl geschrien haben. Er wurde durch den tiefen, langen Schnitt endlich ruhiger und meine Mutter konnte den Notarzt rufen. Der kam mit einem Sanitäter und sie wollten meinen Vater ins Krankenhaus mitnehmen, aber dabei flippte er wieder total aus und wollte nicht freiwillig mitfahren. obwohl in der Mitte am Bauch entlang eine fette, tiefe Wunde klaffte, die immer noch blutete. Der Notarzt rief um Verstärkung und so trugen sie ihn dann schließlich zu fünft mit Gewalt raus aus der Wohnung und fuhren ihn ins Krankenhaus. Tja, da war wieder mal was Besonderes geboten für meine ach so neugierigen Nachbarn, die an ihren Fenstern immer gleich zur Stelle waren, wenn es was zu sehen gab. So, daher kam also meine Angst davor, dass mir jemand ein Messer in den Bauch sticht.

Als ich etwas älter war, so ab 3 oder 4 Jahre, lief ich öfter mit meiner Mutter weg, wenn mein Vater wieder ausflippte. Ich weiß noch von einem Mal, wo ich mit meiner Mutter ins Schlafzimmer geflohen bin. Mein Vater schlug auf die Türe ein, wenn sie nachgegeben hätte, wäre sie mir direkt drauf gefallen. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er eine Türe eingeschlagen hat. Wir aber kletterten dann schnell mitten in der Nacht durch´s Fenster im Erdgeschoß und rannten in Nachthemden barfuß durch den Schnee im Garten in die Garage zum Auto. Meine Mutter hatte den Autoschlüssel dabei und als wir mit dem Auto wegfahren wollten, kam mein Vater und wollte uns natürlich aufhalten. Wir machten die Knöpfe an den Autotüren runter und meine Mutter musste ihn beinahe umfahren, um davon zu kommen. In solchen Nächten sind wir immer zu meiner Oma gefahren, um uns in Sicherheit zu bringen. Auch dort tauchte mein Vater ein- oder zweimal auf, aber vor meiner Oma und vor allem vor meinem Onkel, der bei ihr wohnte, bis er 42 Jahre alt war, hatte er doch großen Respekt.

Unsere Nachbarn haben immer alles mitgekriegt, weil wir ja in einem Wohnblock wohnten, aber niemals hat irgendwer Hilfe geholt oder geleistet, all die vielen Jahre nicht. Sie sahen mich immer nur mitleidig an. Ich versuchte, mich im Garten allein zu beschäftigen, wenn meine Eltern stritten, als ich etwas älter war. Die einzigen Freunde, die ich damals in meiner Kindheit hatte, waren meine 4 - 6 Jahre älteren Nachbarskinder. Die waren einmal bei mir im Zimmer, als mein Vater rein kam und mir einfach so eine Flasche Bier über den Kopf schüttete. Ich glaube, er wusste gar nicht, was er da tat. Ich habe mich schon damals, obwohl ich noch so klein war, so unendlich geschämt für ihn. Danach hat mich eigentlich daheim keiner mehr besucht und so spielten die zwei Nachbarskinder nur noch draußen an der Schaukel im Garten mit mir. Es war auch überhaupt schwierig, da ich kein eigenes Zimmer hatte. Eine Zeitlang hatte mein Vater mein Zimmer und ich durfte zwar tagsüber rein, aber das wollte ich gar nicht, denn es stank so nach Bier da drin. Ich weiß noch, wie ich ihm mal abends ein Lied vorsang, das ich in der Schule gelernt hatte und er gab mir 5,00 DM, und sagte, dass ich das gut gemacht habe. Mit den 5,00 DM wusste ich damals gar nichts anzufangen, mir war das Lob viel mehr wert, denn für Lobe hatten meine Eltern kaum Zeit. Das hat mich so gefreut, dass ich mich immerhin heute noch daran erinnern kann.

Die meiste Zeit schlief ich zusammen mit meiner Mutter im Schlafzimmer. Dann, als ich ungefähr 8 Jahre alt war, bekam ich wieder mein eigenes Zimmer und mit einer großen Spanplatte schlossen wir den Durchgang zwischen dem Wohnzimmer und dem Esszimmer und so hatte mein Vater sein eigenes Reich, in dem er sich austoben konnte, was er auch tat. Er kochte oft nachts und veranstaltete eine riesige Sauerei in der Küche und er schaute sich u.a. auch Pornos da drin an während er seinen Kasten Bier vernichtete. Das fand ich schon früh heraus, dass sich mein Vater für solche Sachen interessierte…

Ich habe mich überhaupt immer so gut ich konnte um meine Eltern gekümmert. Ich wachte schon automatisch immer um ca. 1:00 Uhr nachts auf, ging ins Wohnzimmer, machte den Fernseher aus (damals gab es nachts im TV nur das bunte Standbild oder aber graues Schneetreiben mit lautem Rauschen), weckte beide auf und schickte sie ins Bett. Da waren sie mir oft am liebsten, denn so schlaftrunken waren sie ganz ruhig, hörten auf mich und legten sich brav in ihre Betten. Manchmal bin ich damals aber auch schlafgewandelt. Ich bin mal in der Badewanne aufgewacht am nächsten Morgen, bzw. dort hat mich meine Mutter dann gefunden oder auch mal im Wohnzimmerschrank im untersten Fach, was meines war, in das legte ich immer meine Geschenke für die anderen zu Weihnachten oder Geburtstage rein.

Immer, wenn ich merkte, dass der Streit eskaliert und es nun zu Handgreiflichkeiten kam statt zu zerbrochenem Geschirr, habe ich die Polizei angerufen. Die 110 war die erste Nummer, die ich überhaupt angerufen habe. Vielleicht telefoniere ich deshalb heute noch nicht gern, da es früher dabei nur immer um Hilfe in letzter Sekunde ging. Manchmal war es auch richtig dramatisch: Meine Mutter warf mir das Telefon zu (ein schnurloses gab es damals ja noch nicht und so war der Weg damit begrenzt) und ich schloss mich in der Speisekammer damit ein, während ich die Nummer der Polizei wählte. Als ich mein eigenes Zimmer hatte, sperrte ich immer die Türe zu, als der Streit anfing und ich versuchte, mich rauszuhalten so gut es ging. Aber wenn es schlimmer wurde, half es manchmal auch, mich mal blicken zu lassen, aber das habe ich auch vermieden, weil mich meine Eltern dann immer gerne in ihre Streitigkeiten hineingezogen haben, was ich sooo sehr hasste. Denn dann fielen Sätze wie: „Schau, was mir dein Vater antut!“ oder „Stell dir vor, was deine Mutter wieder getan hat!“, usw. Nun, wenn auch mein Anblick nichts mehr ausrichten konnte, dann rief ich eben die Polizei. Einmal sperrte ich die Zimmertür auf, als ich hörte, dass die Polizei da war. Da sagte der Polizist zu meinem Vater: „Wenn sich ihre Tochter schon vor ihnen einsperren muss, dann sind sie ja gemeingefährlich!“. Aber wenn die Polizei kam, nahmen sie ihn mit in die Ausnüchterungszelle und am nächsten Tag war er ja wieder da und der Zirkus ging von vorne los…!

Ja, so bin ich also aufgewachsen und das erklärt dann vielleicht auch, dass meine Drogensucht schon mit ca. 4 Jahren begann, wovon ich nächstes Mal schreiben werde.

Viele Grüße,
Becky

Fortsetzung folgt …


© Drogenweltblog 2011

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