Dienstag, 18. Oktober 2011

Becky - Auf den Spuren von Christiane F.


Becky´s Eltern trennen sich und Becky macht Urlaub in Berlin

Meine Mutter arbeitete als selbstständige Handelsvertreterin für ein Baby-Bad, welches nur aus Naturprodukten bestand und in der Schweiz ausschließlich für die Firma ihres Chefs hergestellt wurde. So bekam sie nie ein festes Gehalt und ich wünschte ihr täglich viel Glück, bevor sie losfuhr, damit sie hoffentlich einige Dosen Baby-Bad verkaufte und wir somit etwas Geld hatten. Meistens reichte es gerade so für die Miete und die laufenden Kosten. Die Finanz-Sorgen meiner Eltern, bzw. meiner Mutter, waren immer auch meine Sorgen und es machte mich wahnsinnig, dabei nichts tun zu können. So half ich eben damit, indem ich nie etwas von meiner Mutter erbeten habe (wie z.B. einen „Marco-Polo“- oder „Boss“-Pulli, welche beinahe alle meine Freundinnen in Massen besaßen), außer für 120,- DM „Adidas“-Turnschuhe (das waren feste weiße Leder-Turnschuhe mit den berühmten 3 schwarzen Streifen an den Seiten und so ein hellgrauer Wildleder-Teil vorne an den Zehen; die Schuhe hatte damals einfach jeder!). Die mussten einfach sein und von da an hatte ich die auch Jahre nicht mehr ausgezogen.


Meine Eltern ließen sich zwei Jahre vorher scheiden und mein Vater zog wieder zu seinen Eltern (meinen Großeltern) in die 25 km entfernte Kreisstadt. Der Freund meiner Tante Elisabeth hatte meinen Vater damals aus unserer Wohnung geworfen, als er es wieder einmal zu bunt getrieben hatte, weil er allein auf das Drängen meiner Mutter gar nicht daran dachte, die Trennung, zu der sich meine Mutter nun endlich durchgerungen hatte, hinzunehmen. Er machte aber trotzdem noch oft Telefon-Terror und kam anfangs auch noch einige Male einfach zu uns und wollte meine Mutter wieder umstimmen (das klappt natürlich nicht, wenn man nachts besoffen an den Rollläden auf der Terrasse randaliert).

 
Mein Vater konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als Bierfahrer arbeiten, da er einen Bandscheibenvorfall hatte, ständige Rückenschmerzen und Gicht sowie Rheuma in den Beinen. Sein Knie war oft um die Hälfte dicker als normal, so viel Wasser war da drin. Das wurde ihm immer wieder mal beim Arzt mit einer Spritze herausgezogen. Das waren schon die ersten körperlichen Auswirkungen vom jahrzehntelangen enormen Bier-Konsum. Durch die Beziehungen meines Opas wurde er Angestellter bei den Stadtwerken und war ab sofort zuständig für Strom-, Wasser- und Gaszähler (Jahresablesung, Abrechnung bei Ein- und Auszügen und auch den Strom sperren, wenn die Rechnung nicht bezahlt wurde).

Meine Großeltern duldeten seinen Alkohol-Konsum bei ihnen zuhause nicht (sie waren ja schon sehr streng mit ihm, als er noch klein war und er hatte immer noch großen Respekt oder eher Angst vor ihnen, so dass er tat, was sie von ihm verlangten). Abgesehen davon bekam er ja jetzt auch keinen „Haustrunk“ (täglich einen Kasten Bier kostenlos) mehr, so wie er es vorher als Getränkefahrer bekam und auch gewissenhaft verbrauchte. Durch diese grundlegenden Veränderungen in seinem Leben, gelang es ihm schließlich, keinen Alkohol mehr zu trinken! Ich habe ihn nie gefragt, wie er das hinbekommen hat, denn irgendwie hatte ich Angst, es anzusprechen. Es war wie ein Traum, der so zerbrechlich war und jederzeit wie eine Seifenblase zerplatzen konnte; es war das Wunder, auf das ich längst schon nicht mehr gehofft hatte. Wahrscheinlich hat er im Krankenhaus einen Entzug gemacht, denn meine Großeltern hätten das bei sich im Gästezimmer nicht zugelassen. Außerdem wäre es ohne ärztliche Kontrolle viel zu gefährlich und auch gar nicht mehr möglich gewesen. Das einzig Gute war, dass er nur immer Bier getrunken hatte, aber davon eben einen Kasten am Tag und das ca. 12 Jahre lang.

Seit mein Vater keinen Alk mehr trank, machte er auch keinen Terror mehr bei uns zuhause. Er verabredete sich einige Male mit mir und wir gingen auf sein Drängen hin unter anderem sogar zum Tennis-Spielen, was sein neues Hobby zu sein schien! Das hat mich sehr verwundert - mein Vater und Sport!!! Außerdem hat er mindestens 20 Kilo abgenommen und sah so gut und gesund aus, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Einmal fuhren wir auch zum Flughafen München II im Erdinger Moos, dessen Bau gerade begonnen hatte, um uns dort umzusehen. Mein Vater war wieder unternehmungslustig und interessiert an allem möglichen! So habe ich ihn eigentlich nie erlebt. Es hat mich wahnsinnig gefreut für ihn – und auch für mich! Zum ersten Mal hatten wir eine normale Beziehung zueinander und konnten normal miteinander umgehen. Endlich war er nicht mehr diese tickende Zeitbombe, von der ich ständig Angst hatte, sie könnte jeden Moment losgehen, nur weil ihm irgendetwas nicht passte. Endlich lag in seiner Gegenwart nicht mehr diese wahnsinnige Spannung in der Luft.

Zwei Jahre lang war er „trocken“. Die Großeltern kauften ihm eine kleine 1-Zimmer-Eigentumswohnung, womit sie ihn auszahlten, was sein Erbe betraf. Ich weiß nicht, warum mein Vater wieder rückfällig wurde, aber Tatsache ist, dass seine abstinente Zeit vorbei war, als er alleine in seiner Wohnung lebte und nicht mehr von seinen Eltern kontrolliert wurde. Bis zu seinem Tod sollte er nun nicht mehr vom Alkohol loskommen. Ich machte und mache mir immer noch ab und zu Vorwürfe, denn ich hätte mich vielleicht doch noch öfter mit ihm treffen und mehr mit ihm unternehmen sollen. Nun, man kann nicht sagen, ob das etwas an seinem Rückfall geändert hätte. Jedenfalls war ich zu der Zeit dann das erste Mal egoistisch und kümmerte mich nicht mehr so um meine Eltern, sondern tat einmal, was ICH wollte: Mich nämlich mit Freunden treffen, mir keine Sorgen mehr zu machen, was rauchen und alles vergessen können. Nach der Scheidung war auch meine Mutter ziemlich einsam, denn sie hatte ja nie Freunde gehabt und deshalb blieben nur meine Omi und meine Tanten, zu denen sie Kontakt hatte. So wusste ich zwar, dass mein Vater und auch meine Mutter mehr von mir haben wollten, aber als Teenager verbrachte ich meine Freizeit dann doch lieber mit Freunden, als mit meinen Eltern. Eigentlich war das schade, denn als ich endlich zum ersten Mal ein normales Zuhause gehabt hätte, in dem Harmonie herrschte, war ich kaum mehr daheim. Aber es war einfach zu spät dafür. Ein harmonisches Zuhause wäre einige Jahre früher wichtig für mich gewesen.

Nun waren endlich Sommerferien im Jahre 1987 und Matthias und ich beschlossen, irgendwo hinzufahren. Ein großer, teurer Urlaub ins Ausland war nicht drin, denn Matthias verdiente auch nicht so viel als Gas-/Wasser-Installateur. Wir wollten aber schon immer mal nach Berlin. Zu dieser Zeit stand dort ja noch die Mauer, die wir mal sehen wollten und die DDR gab es auch noch. Wir erzählten unseren Freunden von der Berlin-Idee und Andy und Christiane waren sofort total begeistert davon. Bernhard und Herbert, zwei weitere Freunde von Matthias, hatten auch Urlaub und so fuhren wir mit zwei Autos zu sechst nach Berlin. Matthias und ich fuhren mit Herbert in seinem Auto mit, einem alten, grünen Kadett und Christiane und Bernhard fuhren mit Andy in seinem Auto.

Allein die Fahrt nach Berlin über die Transitstrecke durch die DDR war schon ein Abenteuer! Abgesehen davon, dass die Autobahn im Bereich der DDR merklich schlechter war und man ständig durch Schlaglöcher und Fahrbahnschäden fuhr, so gab es da ja auch sehr strenge Regeln. Man durfte unter keinen Umständen irgendwo anhalten und wenn man doch mal auf die Toilette musste, dann war nur ein ganz kurzer Stop an den Autobahnraststätten erlaubt. Wir hielten nicht an, denn wir hatten auch Angst, weil wir schließlich auch Haschisch dabei hatten und nicht besonders scharf darauf waren, an irgendeiner Raststätte kontrolliert zu werden. Durch das kleine Stück der DDR zu fahren, war, als wäre man im Ausland, was es im Grunde ja auch war.

Wir kamen also vormittags in Berlin an und mieteten uns alle in eine private Pension ein. Es war ein großes Haus, in dem eine Familie wohnte, die drei Gästezimmer vermietete. So schliefen wir je zu zweit in einem Zimmer und bekamen von der Dame des Hauses auch ein leckeres Frühstück serviert. Schließlich fuhren wir los in die Innenstadt, stellten die Autos ab und gingen zu Fuß weiter. Wir waren in einem Flohmarkt, der sich in einem umgebauten Zug befand. Vor allem Christiane und ich waren total begeistert von den vielen Sachen und kauften uns dort ein paar Klamotten und so schlenderten wir weiter durch die große Stadt. Auch, wenn ich es liebe, auf dem Land zu leben, so liebe ich es auch, einmal für ein paar Tage eine Großstadt zu erleben. Es war sehr aufregend und alles so groß! Wir fuhren mit der U-Bahn zur Mauer und sahen uns die Graffitis an, die darauf verewigt waren. Danach fuhren wir zum Wannsee und dort machten wir es uns erst einmal gemütlich und rauchten unser mitgebrachtes Dope. Nach einiger Zeit fuhren wir in unsere Pension zurück und richteten uns für den Abend her. Es war nicht so, dass wir in Berlin großartig auffielen. Zwar waren wir Landeier, aber wir sahen nicht so aus. Wir kauften uns unsere Klamotten entweder auf Flohmärkten oder in den Orient- und Army-Shops in München und so fielen wir eher immer in unserer kleinen Stadt auf, als in Berlin.

So fuhren wir also (dieses Mal gleich mit der U-Bahn) in die Innenstadt und als erstes fiel uns eine Bar auf, die anstatt Stühle Klobrillen, bzw. ganze Toiletten hatte. Da gingen wir natürlich rein und tranken erst einmal einen Cocktail, denn so eine Einrichtung hatten wir noch nie gesehen! Die Speisekarte sah aus wie eine Klopapier-Rolle und alles in der Bar war sehr stilecht. Das war sehr lustig. Danach wollten wir natürlich das berühmt-berüchtigte „Sound“ sehen, die Disko, in der Christiane F. öfter war. Naja, was soll ich sagen. Es war eine sehr abgefuckte Disko, in jeder Ecke stank es nach Kotze und Urin und es war sehr dreckig. Also, zu Christine F.´s Zeiten war das wohl noch schöner hier, aber einige Jahre später sah das schon anders aus…  Es war nichts besonderes, halt ziemlich eklig und so blieben wir nicht sehr lange dort. Ich weiß nicht, wie es heute dort ist oder ob es diese Disko heute überhaupt noch gibt, aber vor ca. 20 Jahren war es nicht so toll dort, wie ich es mir aufgrund des Christiane F.-Films vorgestellt hatte. So ließen wir den Abend dann in unserer Pension mit ein paar Joints noch in Ruhe ausklingen.

Naja, insgesamt waren wir 3-4 Tage in Berlin und wir sahen uns auch sämtliche Sehenswürdigkeiten dort an. Berlin hat uns allen sehr gut gefallen und wir hatten zusammen eine Menge Spaß. Schließlich fuhren wir wieder nach Hause und das sollten die letzten glücklichen Tage mit Matthias und mir als Paar sein, was ich zu der Zeit jedoch noch nicht ahnte.

Bis demnächst,
Becky

© Drogenweltblog 2011

1 Kommentar:

  1. Im Oktober gibt's das neue Buch von Christiane F.
    http://www.siileex.blogspot.ch/2013/09/das-leben-der-christiane-f.html

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Vielen Dank für Deinen Kommentar!
*-- Becky --*